Das Urteil des Vaters fiel denkbar knapp aus: „Das Ding wird dich umbringen.“ Mit diesen Worten reagierte der gestandene Kapitän auf die Idee seines halbwüchsigen Sohnes, ein kleines U-Boot zu bauen und damit auf Tauchfahrt zu gehen.

Doch der Filius ließ sich nicht irritieren. Er baute sein U-Boot in geplanter Originalgröße von drei Meter Länge – wenn auch zunächst nur als Modell aus Schnee und Eis im Garten des Elternhauses unweit von Bremen.

Schon als Schüler technisch interessiert

„Damals war ich noch Schüler und stand kurz vor dem Abitur“, erzählt Carsten Standfuß. „Aber technische Extreme haben mich immer schon fasziniert.“

Erst sei es die Raumfahrt gewesen, später kamen die Segelfliegerei und das Tauchen hinzu. „Raumschiffe und U-Boote sind ähnlich“, sagt der heute 59-Jährige. „Sie bewegen sich in einer für den Menschen feindlichen dreidimensionalen Umwelt und müssen daher technisch besonders ausgeklügelt sein.“

Eintrag im „Guinness-Buch der Rekorde“

Das Schneemodell schmolz dahin, aber das Mini-U-Boot nahm bald reale Gestalt an. Auf den Namen „Sgt. Pepper“ getauft, fand es als damals kleinstes Unterwasserfahrzeug der Welt Eingang ins „Guinness-Buch der Rekorde“. Das nötige Wissen hatte Standfuß sich im Leistungskurs Maschinenbau am Technischen Gymnasium angeeignet und aus Unmengen von alter und neuer Fachliteratur. Diese stapelt sich bis heute in den heimischen Bücherregalen.

Das Schiffbau-Studium an der Hochschule Bremen absolvierte er nach eigenen Worten „zügig“. So blieb genügend Zeit, um sich intensiv mit dem zu befassen, was auch viele Taucher in der Tiefe reizt: Schiffswracks.

Datenbank mit über 40.000 Wracks

Sie wurden zu einer echten Leidenschaft für Standfuß. Dabei ging es ihm nicht um verborgene Schätze, er fand es „viel spannender, herauszufinden, um welches Schiff es sich handelt, wo es herkam und wohin es wollte“.

Er begann, akribisch Daten zu sammeln über geortete und vermutete Wracks. Fündig wurde er in der Fachliteratur und bei Fahrten mit dem Mini-U-Boot, das bis zu 60 Meter tief tauchen konnte. Heute enthält die einzigartige Datenbank des Ingenieurs über 40.000 Wracks in der Nord- und Ostsee. Jedes dieser Objekte ist rot markiert auf Seekarten, die bei ihm daheim wie auf einem Kleiderständer griffbereit aufgehängt sind.

Nenntauchtiefe von 250 Metern

Mit jedem neuen Wrack wuchs der Enthusiasmus von Standfuß. Und er lernte: „Wenn man mehr über die Wracks erfahren möchte, muss man zu ihnen abtauchen.“ So entstand langsam die Idee, ein größeres U-Boot zu bauen. Aus der Idee wurde ein Plan, und aus dem Plan ein Projekt. Standfuß, der nach dem Abi Schiffbau studiert und auf einer Werft an der Weser angeheuert hatte, eignete sich in kurzer Zeit ein enormes Fachwissen an, fertigte unzählige Entwürfe und hatte am Ende ein klares Konzept: Das U-Boot sollte eine Länge von 16 Metern, ein Gewicht von 58 Tonnen und eine Nenntauchtiefe von 250 Metern haben.

Am 7. Juli 2000 startete der Bau. Als der wichtigste Part sollten sich das notwendige Material und ein geeigneter Bauplatz erweisen. Letzterer fand sich durch einen glücklichen Umstand auf einer kleinen Werft, wo es einen ungenutzten Helgen gab.

Haus verkauft, um das U-Boot zu bauen

Um den Arbeitsweg dorthin kurz zu halten, verkaufte Standfuß kurzerhand sein Haus und mietete sich eines neben der Werft. Ebenso entschlossen machte er sich daran, das technische Equipment und die Materialien zu organisieren. Dabei halfen ihm nicht nur sein Know-how, sondern auch viele Firmenkontakte. Unter anderem zu einem Batterie-Service, der die Akkus, die Standfuß für sein U-Boot brauchte, günstig zum Selbstkostenpreis abgab.

Später wurde Ebay zur wahren Fundgrube. „Dort bin ich auf diverse Schnäppchen gestoßen“, verrät Standfuß. Als sich beispielsweise zeigte, dass die Sitze eines VW Passat nicht brandfest genug waren für ein U-Boot, fand der Konstrukteur bei Ebay die Vordersitze eines verunfallten Audi TT. Konkret: „Blaue Ledersitze mit Heizung und Airbag“, wie Standfuß erzählt. Über diesen Coup freut er sich heute noch.

Zwölf Jahre Bauzeit

Viele Kuriositäten komplettieren die Liste. So erstand er auf einem Flohmarkt 20 Deckenleuchten zum Stückpreis von 1 Euro und auf einer Werft explosionsgeschützte Tankerleuchten, die ausrangiert wurden. Der Höhenmesser stammt aus dem Cockpit einer MIG 17, einem sowjetischen Jagdflugzeug, und der Reservekreiselkompass aus einem DC10-Jet.

Aus den geplanten fünf Jahren Bauzeit wurden schließlich zwölf. „Das war aber kein Nachteil“, so Standfuß. „Denn so blieb die Bauzeichnung über einen langen Zeitraum lebendig, und es konnten zahlreiche neue Erkenntnisse und Verbesserungen einfließen.“

Erster Tauchgang in einem Baggersee

Trotzdem war die Spannung groß, als das U-Boot am 7. Juli 2012 auf den Namen „Euronaut“ getauft (Standfuß: „Ich bin überzeugter Europäer“) und zu Wasser gelassen wurde. Würde es tatsächlich schwimmfähig sein und sich wie berechnet verhalten?

Der erste Tauchgang wurde in einem 20 Meter tiefen Baggersee absolviert. Er verlief ohne Probleme. Der Druckkörper mit einem Durchmesser von 2,50 Metern, der eine 22 Millimeter dicke Stahlwand hat, schwimmt und bleibt auch aufgetaucht fast komplett unter der Wasserlinie.

Der Sportbootführerschein reicht aus

Die „Euronaut“ ist für eine Vier-Mann-Besatzung ausgelegt. Anfangs kamen und gingen die Crewmitglieder, fast immer Taucher und Techniker im Wechsel. Später sind es zumeist ehemalige U-Bootfahrer der Marine, die die Unterwasserfahrt nicht losließ.

Standfuß’ U-Boot ist im deutschen Seeschiffsregister eingetragen und kann wie ein gewöhnliches Sportboot betrieben werden. „Für diesen speziellen Fall existieren keine Vorschriften“, wundert sich Standfuß noch immer. „Es genügt der Sportbootführerschein.“

Keine Kompromisse bei der Sicherheit

Den Sportboot-Versicherern ist die „Euronaut“ bis heute nicht geheuer. Sie verweigern den Versicherungsschutz. Aber auch dafür gab es eine Lösung – eine professionelle Frachter-Haftpflicht-Versicherung sprang ein.

In puncto Sicherheit gibt es für Standfuß keine Kompromisse. Er bezeichnet sein U-Boot als „ultrastabil“. Sollte in der Technik etwas ausfallen, was immer mal wieder vorkomme, dann böten die Bedingungen im Bootskörper genug „Ruhe und Zeit“, um den Defekt zu beheben.

Reichweite von 300 Seemeilen

In einem akuten Notfall würde eine konstruktive Sicherheitsvorkehrung greifen. Unter dem Rumpf sind tonnenschwere Metallplatten befestigt, die bei Bedarf gelöst werden können. Der natürliche Auftrieb brächte die Crew sicher zurück an die Wasseroberfläche.

Im Vorschiff befindet sich eine Dekompressionskammer samt Ausstiegsöffnung, die es Tauchern erlaubt, das U-Boot in der Tiefe zu verlassen und ein Wrack aus der Nähe zu untersuchen. Bei einer Reichweite von maximal 300 Seemeilen sind Forschungsfahrten bis zu sieben Tagen möglich.

Flugzeugwrack im Schweriner See untersucht

Diese führen Standfuß nicht nur in die Nord- und Ostsee. 2023 ging es mit einem kleineren Drei-Mann-U-Boot eines Freundes, das er für diesen entworfen hatte, im Schweriner See in die Tiefe, um das Rätsel um ein 1945 abgestürztes deutsches Jagdflugzeug vom Typ Focke-Wulf Fw 190 zu lösen.

„Wir haben das völlig zerstörte Wrack aufgespürt, fotografiert und damit das Schicksal des Flugzeugs bestätigt“, erzählt Standfuß mit erkennbarem Stolz.

Sponsor für Batterien gesucht

Im Jahr 2012, als die „Euronaut“ die ersten Härtetests erfolgreich absolviert hatte, legte der Schiffbauingenieur in seiner beruflichen Karriere einen neuen Kurs an. Er wechselte auf die Rostocker Werft Tamsen Maritim, auf der unter anderem Behörden- und Spezialschiffe entstehen. Dort leitete er lange die Abteilung Neubau, war zuständig von der Entwicklung bis zur Fertigstellung der Objekte. Nach einer firmeninternen Umstrukturierung ist er nun Leiter der Projektierung – ein Job, in dem er von seinen Erfahrungen beim U-Boot-Bau enorm profitiert.

Die Werft in Rostock-Gehlsdorf wurde auch für die „Euronaut“ zum Heimatstützpunkt. Gegenwärtig ist das U-Boot gedockt und wird in unzähligen freien Stunden aufwendig überholt.

Fast zehn Jahre im Einsatz und ohne Unterbrechung im Wasser, das hinterlässt Spuren. So hat unter anderem der Batterie-Pack an Bord seinen Leistungszenit inzwischen überschritten und muss ersetzt werden. Ein ziemlicher Brocken im Budget. Um diesen aus dem Weg zu räumen, wäre ein Sponsoring, privat oder von Unternehmen, sehr hilfreich.